Der Klassenfeind
Tags: DDR Maueralt Pseudoargumente Rant SPON Werbung -Man sollte ja meinen mit dem Mauerfall wäre die Hetze gegen den Klassenfeind (oder wie auch immer die westdeutsche Entsprechung des Begriffes lauten würde, Kommunistenschweine?) beendet.
Ostdeutschland wurde eingegliedert, wir sitzen jetzt wieder alle im gleichen Boot und man kann die Vergangenheit offen und ehrlich betrachten ohne zu ständiger Propaganda über "das unterlegene System" abzuschweifen.
..und dann mach ich wieder den alten Fehler und lese Artikel bei SPON oder ähnlichen Drecksblättern.
Heute ein Artikel zu der wenigen, aber doch vorhandenen Werbung in der DDR, also einem der imho recht wenigen, deutlichen Vorteile einer Planwirtschaft.
Schon im ersten Absatz geht es los
Wie heikel der Umgang mit den Verbrauchergefühlen eines DDR-Bürgers sein konnte, zeigt die Sache mit der fleckgeschützten Tischdecke. Ein Hersteller machte für seine ausgefeilte Tischwäsche TV-Reklame, und prompt hätten "sich Bürgerinnen beschwert, weil die Decke in bestimmten Landwarenhäusern nicht da war", konstatierte in den Siebzigerjahren ein Verantwortlicher beim Ministerium für Handel und Versorgung.
OMG! Zum Glück ist sowas in westlichen Marktwirtschaften undenkbar. Man stelle sich nur mal vor was passieren würde wenn Leute Werbung von Aldi oder Lidl sehen würden und die darin angepriesenen Artikel bereits wenige Stunden nach Eröffnung komplett ausverkauft wären!
Warte, das erinnert mich an irgendwas...
2005 wurde der Discounter nach einer Klage der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs vom Oberlandesgericht Stuttgart wegen Lockvogelangeboten im Non-Food-Bereich verurteilt (Urteil vom 30. Juni 2005, Az. 2 U 7/05), da beworbene Produkte bereits nach einer Stunde ausverkauft waren, wohingegen für massiv beworbene Produkte ein Vorrat für mindestens zwei Tage vorzuhalten sei. 2011 gab es in einer gleich gelagerten Sache ein weiteres Urteil des Bundesgerichtshofes aufgrund einer Klage der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen
Aber weiter:
Weil Konkurrenz unter den Herstellern fehlte, war Reklame in der DDR eher eine Variante der Propaganda.
Ich weiß nicht ob ich den Versuch übermäßig vorhandenen Artikel_A statt knappen Artikel_B schmackhaft zu machen, als "Propaganda" bezeichnen würde (wenn ja, dann haben wir hier auch ziemlich viel davon), aber ja: Propaganda und Werbung waren und sind damals wie heute verwandte Gebiete.
Als das Land mal auf einem Haufen Zucker saß, bediente sich die staatliche Öffentlichkeitsbearbeitung des Slogans: "Zucker sparen? Grundverkehrt! Der Körper braucht ihn. Zucker nährt!" Die Volksgesundheit musste der Planwirtschaft weichen.
Meine Güte! Wie abgrundtief böse, Werbung für heute als ungesund angesehene Dinge zu machen! Die Zuständigen müssen wirklich der Inbegriff der Bösartigkeit gewesen sein.
Schlimmer noch: Sie taten dies nicht wie Haribo, Schöller oder gar die westliche Zuckerindustrie, aus rein monetären, sondern aus verabscheuungswürdigen Gründen wie z.B. um Versorgungsengpässe für den Lebensmittelnachschub auszugleichen.
Oh, ich sehe gerade. Das war dann doch eine westdeutsche Werbung die im Umfeld von Wolf Uecker gegen 1964 für Verbände der Zuckerhersteller entstanden ist. Dann auch noch fast zur gleichen Zeit wie die verabscheuungswürdige Zucker-Werbung bei den Kommunisten. Da war die Agentur im Westen sicher unterwandert!
Es gab auch eine Kampagne für das VEB-Minol-"Schnelltanken". Ein ausgefeiltes System? Nein, beim "Schnelltanken" wurde schlicht nur für runde Summen betankt, die Wartezeit auf die Rückgabe von Wechselgeld entfiel. Grund genug für die DDR-Werber, eine Kampagne daraus zu stricken.
Werben für völlig unwichtige Details? Sie als Weltrevolution darstellen? Wenn das mal Apple hört... die haben da bestimmt ein Patent drauf.
Während die westdeutschen Kollegen sich einiges einfallen lassen mussten, um im anschwellenden Chor der Verkaufsgesänge noch gehört zu werden, dominierte im Osten die sorgfältig inszenierte Langeweile. Neben gedruckter Reklame liefen auch Bildschirmbotschaften. Zu Beginn gab es nur eine Sendung pro Woche, später täglich außer sonntags, dann eine Weile zweimal die Woche
Um Eris' Willen! Wenig Werbung?
Ja, diese Horrorgeschichte kann man natürlich nur mit "inszenierter Langeweile" beschreiben. Man stelle sich nur mal vor: Filme und Serien NICHT durch Werbung unterbrochen, ganze Straßenzüge ohne Plakatwand, Radio über Stunden ohne Hinweis auf Seitenbacher-Müsli!
Folter! Horror! Terror!
Egal, ob Reklame im Sportstadion oder bei der Reichsbahn, ebenso Fahnenstickereien, ein eigener "Verlag für Agitations- und Anschauungsmittel" (auch vierfarbige Honecker-Porträts gehörten zum Sortiment) oder Plakatdruckereien – alles war in der Hand der Dewag.Ihr langjähriger Chef, Ulrich Osche, war nicht etwa Werber, sondern machte in jungen Jahren Reklame für die Weltrevolution.
Heute haben wir wenigstens gut sortierte Oligopole auf dem Werbemarkt, wie es sich für Marktwirtschaft gehört. Es wäre auch pervers wenn sich das grundlegende Konzept eines Wirtschaftssystems bis auf den Werbemarkt erstreckt.
Ich hab' nicht mal den Hauch einer Ahnung warum man dann noch auf Verflechtungen zwischen Werbe-Staatsunternehmen und Staat hinweisen muss, aber wir können bestimmt froh sein dass es im Westen nie Interessenskonflikte gibt.
Die Komödie mit Armin Mueller-Stahl nahm die DDR-Reklamemacher aufs Korn – ein Grenzgang in der sozialistischen Republik. Im Mittelpunkt stand ein völlig untalentierter Werbezeichner, der jede Fortbildung besuchte, aber kaum mehr konnte, als herumzuschwafeln, etwa von "der Rolle der Bedeutung" – und er stieg auf zum obersten Werber der Republik. Ein westdeutscher Filmdienst nannte das Defa-Werk eine "satirische Komödie über kaderpolitische Fehlentwicklungen in der DDR". Die Zensoren ließen den Film auf die Leinwände und beanstandeten noch nicht mal Spottverse wie diesen hier: "Werbung für den Wartburg ist der reinste Hohn. Willst du einen kaufen, kriegt ihn erst dein Sohn."
Ironie und Selbstkritik, bzw. Kritik am eigenen System? Mir gehen die Superlative für solche Perversionen aus.
Dass die untergegangene sozialistische Gesellschaft nach 1990 den wissenschaftlichen Beweis für die Wirksamkeit von Werbung liefern sollte, erscheint wie ein historischer Witz. Ein Forscherteam der University of California machte sich den Umstand zunutze, dass ein Teil der Ostbürger westliches Fernsehen sehen konnte und ein anderer Teil nicht.Über die Menschen, die schon zu Ostzeiten mit Westwerbung lebten, fanden die Wissenschaftler heraus: Sie griffen nach der Wiedervereinigung häufiger zu den angepriesenen Produkten.
Schon wieder diese Propaganda, von der oben die Rede war.. oh, westliche? Na, die ist ok.
Nachtrag #1
Ich zitiere mal einen Kommentar der unter dem Artikel hing:
der Satz "Anders als im Westen hatte Werbung in der DDR auch eine pädagogische Funktion" hat mich doch irritiert. Ich erinnere mich noch ganz genau an eine Anzeige der Bundesregierung unter Helmut Schmidt aus den siebziger Jahren. Zu sehen war erstmal eine ausgedrückte Tube, deren ehemaliger Inhalt die form der BRD angenommen hatte. Überschrift: "Konjunktuir(sic!) ist, wenn ALLE auf die Tube drücken". Unten dann ein erläuternder Text, dass die Menschen nicht auf ihrem Geld sitzen sollen, sondern schön konsumieren, damit die Konjunktur nach dem Ölschock wieder in Gang kommt. Für Bürger mit mangelnder Phantasie war dann noch eine "Ich kauf mir was zum..."-Liste mit gängigen Konsumartikeln (Haushalt, Klamotten, Autos etc.) angehängt.