Bahnfahrt mit Diskussion
Gestern Abend hatten wir das Vergnügen, dass sich in Chemnitz eine relativ große Gruppe Neonazis zu uns ins Abteil setzte. Da ein anderer Fahrgast dieses Vergnügen bereits in der letzten Bahn teilte und die Polizei wegen dem doch etwas störendem Gesang verfassungsfeindlicher Lieder gerufen hatte, saß die Polizei mit im Wagon, hinter 2 Glastüren und konnte schön dem ganzen Treiben aus der Ferne zusehen.
Mit uns im Abteil saßen also, zwischen den 10-15 glatzköpfigen, angetrunkenen und leider tragisch missverstandenen Jugendlichen und 3-4 Polizisten, der Fahrgast aus dem letzten Zug (ihm ist die Gruppe in dieses Abteil gefolgt) und ein älterer Herr mit seiner (zumindest dachte ich das ursprünglich) Frau.
Bei jenem älterem Herren handelte es sich, wie sich später rausstellte, um einen Professor, der auf dem Gebiet der "Geschichte, Gesellschaft, Politik, Kultur und Wirtschaft" der französischsprachigen Welt und hervorgehoben auch bei Dingen die deutsch-französische Beziehungen betrifft, aktiv ist und dies unterrichtet. Jemandem der also Romanistik, Geschichte, Politikwissenschaft und Germanistik studiert hat, laut der Zusammenfassung seines Lebenslaufes (die ich gerade überflogen hab) mehr Titel und Ehrungen erhalten hat als wohl alle Professoren des Fachbereiches Informatik in Zwickau zusammen und dem man unzweifelhaft eine gewisse Kenntnis der Geschichte nicht absprechen kann.
Wenn nun eine Horde ungebildeter Jugendlicher anfängt mit allen anwesenden diskutieren zu wollen und sie argumentativ wahrscheinlich nichtmal gegen mich allein ankommen würden... dort aber wirklich jemand sitzt der sich mit Sprache an sich und dem Thema um das es geht etwas auskennt, dann hat das zumindest einen gewissen Unterhaltungswert.
Hier mal ein paar Sprüche bei denen wir uns wirklich nicht zurückhalten konnten zu lachen (grob aus dem Gedächtnis zitiert):
- Seht ihr? Wir können uns durchaus auf geistiger Ebene mit so einem Professor treffen
- Studenten haben eh immer so seltsame Einstellungen, die verstehen uns nicht
- Die Vergangenheit hat Angst vor uns! - Wie soll die Vergangenheit Angst haben? - Aber die Zukunft hat Angst vor uns!
- Sind sie nicht stolz auf Deutschland? - Definieren sie mal Deutschland.. beziehen sie sich aufs Heilige Römische Reich deutscher Nation, den Deutschen Bund, die BRD, die Weimarer Republik... ? - Na Deutschland halt
Ich hatte wirklich lange nicht mehr mit diesem Schlag Menschen zu tun... doch man merkt sofort wieder mit wem man es zu tun hat. Typen die sich eine politische Einstellung zuschreiben wollen, denen aber jeder politische Standpunkt fremd ist. Als Einzelperson würden sie ruhig im Zug sitzen und unauffällig bleiben, als Gruppe von 5-20 Personen fangen sie an rumzupöbeln und Leute zu nerven und sollten sie eine gewisse kritische Masse erreichen werden sie gewalttätig.
Gleichzeitig gefallen sie sich aber derartig in der Rolle der Unterdrückten dass sie permanent erwähnen müssen wie sehr sie sich in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt fühlen, dass man sie für das einfache Singen von "deutschem Liedgut" bzw. ihre politische Meinung einsperren würde und dass die "bösen Linken" immer mit Steinen werfen würden. Gleichzeitig scheuen sie sich nicht zu beteuern wie viel Angst "das System" (oder irgendwelche anderen Dinge/Personen) vor ihnen hätte.
Da haben wir auch schon Probleme: Das "deutsche Liedgut" sind Dinge die aus Gründen des Verfassungsschutzes verboten sind. Dinge die dabei nur von Nazionalsozialisten gebraucht wurden und nie stärker zur deutschen Kultur gehört haben als jegliche anderen Erkennungslieder irgendwelcher politischer Gruppen. Wenn sie also z.B. das Horst-Wessel-Lied als deutsches Liedgut anerkennen und singen wollen, müssen sie das gleiche wohl auch für die Hymne der DDR oder Erkennungszeichen von verbotenen, kommunistischen Parteien tun. Irgendwie fällt es mir schwer, mir sowas vorzustellen.
Ihre Politische Meinung kann auch kaum das Problem sein.. immerhin besitzen diese Typen keine. Alles was sie haben ist die politische Grundausrichtung der Leute um sie herum, die sie für ihre eigene halten. Aus der Aussage dass man "rechts" ist, kann man ungefähr soviel politische Meinung ableiten wie aus der Aussage dass man ungern Äpfel isst.
Auch hat kaum jemand wirklich vor diesen Typen Angst... warum auch? Was können diese kleinen Gruppen von herumpöbelnden Jugendlichen tun? Ein paar Leute verprügeln? Für derartige Zwischenfälle gibt es die Polizei und sowas bekommt man auch recht gut unter Kontrolle.
Nein, vor was man Angst haben muss sind nicht diese Typen in Springerstiefeln, deren IQ gerade mal reicht um selbige anzuziehen ohne Fitz im Schnürsenkel zu verursachen, sondern eher die Leute die solche Leute auszunutzen wissen. Glaubt im Ernst jemand dass die Leute an der Spitze der NPD oder verwandter Parteien anfangen wollen Ausländer auszuweisen oder die Zustände vom dritten Reich wieder zu etablieren? Derartige Ideen sind für diese Leute nur ein Mittel zum Zweck. Wenn man den rechten Horden sagt dass man so etwas vor hat, wird es für diese plötzlich "cool" die Partei zu wählen. Da fragt niemand nach ernsthaften Inhalten, der Meinung zu Öko-Steuer oder zum Bundestrojaner, da kann man noch richtig schön seine eigene Politik machen und wird egal ob man irgendwelche Ziele erreicht weiter von den Wählern geliebt. Ist doch toll oder?
Doch kommen wir doch mal zu der Idee Menschen zu sortieren, wie es aus diesem Lager immer mal wieder als Forderung kommt. Natürlich müssen laut diesen Typen die Juden entfernt werden und die meisten "Ausländer" natürlich auch.
Wenn die sowas also fordern dürfen, will ich das auch! Nur würde ich halt meine eigenen Kriterien anwenden, imho wäre es auch viel sinnvoller nach dem Niveau der Menschen zu gehen, statt nach ihrer Herkunft (Letzteres ist eh schon seit Jahrhunderten nicht mehr wirklich zu trennen, die Völker leben nunmal nicht voneinander isoliert und der reine Arier ist ein Hirngespinst sonder gleichen.).
Wenn ich also alle Menschen die mir zu blöd sind abschieben will und damit natürlich auch unsere lieben Singerknaben aussortiere, habe ich interessanterweise sogar noch mehr Erfolgschancen als diese mit ihrem Vorhaben. Nicht nur dass mein Vorhaben geschichtlich nicht so vorbelastet ist, ich bin dazu auch noch in der Lage mir Ziele zu stecken die mal über den nächsten Kasten Bier oder die nächste Schlägerei hinaus reichen.
(Man sollte halt vorsichtig sein mit dem was man sich wünscht.)
Importierte/Alte Kommentare:
#1077: 01.Feb.2009 06:02 von charlysan
Solche Menschen sind einfaches "Fußvolk" mit dem Horizont einer Erbse. Dass sie sich zu gerne einbilden, sie würden eine ernstzunehmende politische Meinung vertreten, musste ich leider auch schon öfters feststellen. Wovor die Menschen die sich aber wirklich mit dem Thema auseinandersetzen Angst haben, ist dass die Mittelschaft wieder für rechtes Gedankengut zu mobilisieren ist. Und wenn in Deutschland weiter fleißig Schulden gemacht werden, dann soll sich auch keiner Wundern wenn ein niedrigerer Lebensstandard zu einer veränderten Landschaft an "politischen" Meinungen führt.
#1078: 01.Feb.2009 06:02 von Dr. Azrael Tod
leider.. die tolle Bildungspolitk und die sozialen Unterschiede tun dann den Rest. :-/
Problematisch ist imho dass nicht wirklich jemand was gegen derartige Probleme unternimmt und derartig einfach zu beeinflussende Leute so immer leichter in die Arme dieser Meinungsmacher getrieben werden.