Nationalspacken

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Ich raff's einfach nicht.

Mir fehlt schlicht jegliches Verständnis.

Was soll diese Nationalscheiße? So alá "Alternative für Doofe", deren Schwesternpartei NPD oder im "Ausland" Front National, UKIP oder wie sie alle heißen.

Wie kann man heute noch so Blödsinn von sich geben? Allein die Grundidee dass feste Nationalstaatsgrenzen hätten heute noch Bedeutung abseits von Text auf Papier und Verwaltungskram…
Dafür sind Staaten heute zu groß. Es gibt schlicht kein einheitliches Deutschland und bereits in jenem sind die Unterschiede größer als zum nächsten Staat.

gefühlte Einwohner

Heute? Ging das jemals? Natürlich. Sogar heute geht das noch. So lange die Bevölkerungsgruppe klein genug ist dass man da eine einheitliche Identität aufbauen kann.

Das funktioniert im 150 Personen (und 400 Kühe)-Dorf aus dem meine Ehefrau stammt sicher recht gut.
Fast jeder kennt alle anderen (oder zumindest weiß man wo der andere grob wohnt und kennt ein paar seiner Verwandten).
Jeder weiß wer "Uhiesscher" ist und wer schon länger als 3 Generationen im Dorf wohnt.
Und dann trifft man 1-2x im Jahr eh eigentlich alle beim Dorffest oder Geburtstagsfeiern.

In der 10K-Einwohner "Stadt" aus der ich stamme, wird das schon langsam schwerer. Klar kennen sich auch da noch die meisten und man kann irgendeine Relation zu den meisten Leuten herstellen. Rentner können auch da noch auf Anhieb die Familiengeschichte zu allen Leuten erzählen die sie treffen (Führt zu interessanten Unterhaltungen: "Ach du schwärmst für XYZ? Mit der bist du übrigens über 7 ecken und 8 Kanten verwandt!") und auch hier trifft man eigentlich alle Personen recht regelmäßig auf den Dorffesten (auch wenn die mal etwas größer werden) oder dem Wochenmarkt.

Aber man merkt bereits eine Tendenz. Bei allem größeren wird es bereits schwierig.

Die 100K Einwohner in Zwickau (wo ich studierte) machten es mir als Zugereistem bereits zu schwer auch nur noch einen groben Überblick zu behalten. Sicher, Personen die dort aufgewachsen sind kennen bestimmt die meisten aus ihrem Viertel, aber schon da wird keiner mehr behaupten den Großteil der Einwohner zu kennen.

Dann 500K Einwohner wie meine Wahlheimat Dresden? Da kann man nur noch sagen "Vergiss es!". Hier bilden sich die sozialen Strukturen nicht mehr auf Stadt-Ebene. Hier kennt man Leute aus dem Viertel. Vlt. etwas übergreifend, weil man "auswärtig" zur Schule geht, arbeitet oder seinen Kleinggarten etwas abseits liegen hat.

Ach ja… und dann haben wir die 80mio Einwohner in Deutschland oder die halbe Milliarde in der EU. Vergiss es! Da braucht man nicht mal mehr drüber nachdenken. Die kennt keiner komplett.

Landschaft

Abseits der Menschen hat man hier sicher noch eine Relation zu Bereichen die man häufiger sieht. Für mich bedeutete das z.B. in meiner Zschopauer Zeit die Gegend die man in Chemnitz für eine Art Stadtzentrum hält oder das Zschopautal und die schönere Hälfte des Erzgebirges.

In meiner Zwickauer Zeit war das neben dem Zwickauer Zentrum weiterhin eigentlich eher das Erzgebirge.

Heute ist es ein ziemlich breiter Streifen an der Elbe entlang, den ich per Fahrrad regelmäßig besichtige. Etwa alles zwischen Moritzburg, Meißen, Pirna und evtl. Radeberg.
Diese Gegend kenne ich aus meinem täglichen Erfahrungsschatz. Aus dieser Gegend könnte ich ohne eine Karte oder ein GPS-Gerät zu benötigen innerhalb weniger Stunden nach Hause laufen/fahren. Natürlich habe ich da eine Meinung zu den meisten Dingen. Natürlich interessiert es mich ob dort eine neue Brücke gebaut wird, jemand eine belebte Straße durch "mein" Stadtviertel am liebsten zur Autobahn ausbauen will oder jemand den ganzen Landstrich planiert und ein Atomwaffentestgelände draus macht.

Kann ich eine Relation zu anderem aufbauen?

Andere Gebiete jedoch…

Wenn ich nicht rein zufällig mal beruflich (z.B. Köln, München) oder privat (Paris, Marseille, Hamburg, die hälfte der Alpen, Krk, …) was zu tun hatte, hab ich die Gegend nie gesehen. Was ich nie gesehen habe, dazu habe ich keine Relation.
Das bedeutet nicht dass ich ein Milliardengrab wie Stuttgart 21 plötzlich toll finde oder es mir auch nur Egal ist. Meine Relation ist dazu aber eindeutig das Geld und vlt. noch eine abstrakte Aufregung über Großprojekte im Allgemeinen, nicht jedoch der Inhalt des Projektes.

Als ich letztens in Hamburg vor der Elbphilharmonie stand, konnte ich daher auch nur feststellen dass das eigentlich kein hässliches Gebäude ist. Die Idee dahinter ist ganz nett, ich hätte es ungern in Dresden stehen (nach Hamburg passt es aber) und klar sind 0.5 Mrd € bis man erstmal mit dem Innenausbau anfängt schon irgendwie… äh… verdammt viel Geld.

Aber sonst? Sonst habe ich keine Relation dazu!

Warum sollte ich auch? Ich wohne nicht da. Ich werde die nächsten Jahre kaum nochmal dort vorbei kommen und auch sonst betrifft mich das nicht.

Anders erklärt

Ich war schon in verdammt vielen Kleinstädten und Dörfern, beinahe täglich sehe ich neue. Natürlich gibt es in Deutschland noch ca. 100x so viele die ich noch nicht gesehen habe und ich habe auch nicht das geringste Interesse an Vollständigkeit.

Und Überhaupt… Warum sollte ich mit Frankfurt (egal ob jetzt richtiges oder falsches) mehr gemein haben als z.B. mit Prag? München ist mir substantiell unsympathisch, da ziehe ich Marseille hundert mal vor. Ich habe auch in letzterem deutlich mehr Zeit verbracht, also sollte doch klar sein zu welchem ich eher eine Relation aufbauen kann?

Selbst in 10km Radius gibt es noch Ecken die ich nicht gesehen habe.In 50km-Radius habe ich bereits Ausland mit im Blick und auch mit 400km Radius hätte ich so Dinge wie Bielefeld noch nicht erfasst (für den unwahrscheinlichen Fall dass es sowas überhaupt geben sollte).
Egal ob Freiburg, Flensburg oder Düsseldorf, ich muss fast 600km Auto fahren bis ich dort wäre. Diese Gegenden sind mir schnurzepiep-Egal!

Nach Prag hingegen, könnte ich ständig eine direkte Zugverbindung nehmen und wäre gerade mal reichlich 2 Stunden unterwegs. Ich muss weder umsteigen, mich vom Zoll kontrollieren lassen, einen PKW mieten, noch wochenlang Urlaub nehmen damit sich eine Reise dahin lohnt. Da brauch' ich zu meinen Eltern oder Schwiegereltern schon länger!

Das bedeutet?

Also erneut: Ich verstehe dieses Nationalstaaten-Ding nicht.

Ich glaube auch nicht dass ich es jemals verstehen werde. Ich glaube aber auch nicht dass das negativ ist.

Natürlich kann ich mich nicht mit der EU identifizieren. Die EU ist für mich genau wie für alle anderen ein rießengroßes Bürokratie-Monster das Gebiete umspannt die ich mir nicht mehr vorstellen kann. Das ist aber auch Deutschland bereits.
Keiner argumentiert ernsthaft gegen innerdeutsche Solidarität (ach komm… die paar Bayern zählen nicht, die haben eh' 'nen Schaden.)

Fast jeder würde die Idee absurd finden Berlin als Schuldenstaat aus dem Euro auszuschließen. Bei Griechenland oder Portugal ist das aber ok.

Geschrieben von Dr. Azrael Tod
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